Tücken der Technik: Vom Telefonieren ohne Telefon

Alte Telefone

Vor fast genau einem Jahr haben wir bei wortwert die Telefone abgeschafft. Auf den Schreibtischen unserer Redakteure stehen seither nur noch Headsets. Nummern eingeben, Wählen, Annehmen und Auflegen – all das passiert nur noch per Software. Auch unsere Telefonanlage, die jahrelang ihren Dienst tat, ist verschwunden. Wir sind vom Zusatznutzen der neuen Lösung nach wie vor überzeugt. Aber im Alltag sind wir leider ziemlich ernüchtert.

Um zu erklären warum, muss ich ein bisschen technisch werden: Statt unsere eigene Anlage zu steuern, sind wir seit einem Jahr Hosted-PBX-Kunden. Das PBX steht für „Private Branch Exchange“, also die traditionelle Nebenstellenanlage für den Anlagenanschluss. Spannend wird die Sache erst durch das „Hosted“: Das nämlich heißt kurz gesagt, dass es die PBX-Anlage gar nicht gibt. Jedenfalls nicht als grauen Kasten, so wie früher. Stattdessen liefert unser Telefon-Provider die Anschlüsse quasi direkt aus dem IP-Kabel an unsere Rechner, wo wir über einen Software-Client per Internet auf den Server zugreifen, der irgendwo in Köln (oder sonstwo) steht. Für Feinschmecker: Unsere alte Anlage war eine von mir durchaus geliebte schnuckelige Hybridanlage für ISDN und IP, die aber leider zusehends an Grenzen der wachsenden Mitarbeiterzahl und wachsenden Mobilarbeit stieß. Außerdem schalten die Anbieter das ISDN-Signal ja in den kommenden Jahren ab. Uns blieb uns also de facto kaum eine Alternative zu einer Hosting-Lösung. Deren Vorteile: Jeder Mitarbeiter kann jederzeit vom Laptop aus telefonieren und ist unter seiner Büronummer erreichbar, und das im Übrigen auch mobil.

Trotz dieser Fortschritte sind wir im Alltag ernüchtert bis genervt. Das liegt an einer ganzen Reihe von Punkten. So hatten wir in diesem Jahr bereits zwei größere technische Ausfälle, einen Ende Juli, als wir einen Tag lang nicht erreichbar waren, und einen weiteren an diesem Montag, als es fast 15 Uhr war, bis ein Techniker zu uns ins Haus kam und die defekte Box tauschte, in der das Signal eintrifft. Für ein Journalistenbüro sind solche Ausfälle jedes Mal ein ziemlicher GAU. In 15 Jahren zuvor hatten wir nicht ein einziges Mal eine vom Telefon-Provider zu verantwortende tote Leitung.

Was uns im Alltag noch mehr frustriert, sind immer wiederkehrende Qualitätsmängel, die zudem völlig erratisch auftauchen. Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass es bei den Software-Clients zwischendurch zu rätselhaften Verzögerungen kommt, wenn Mitarbeiter Gespräche annehmen oder von anderen Leitungen übernehmen. Teilweise dauert das Durchschalten mehrere Sekunden. Anderntags geht es dann wieder schneller. Ich habe schon mehrfach unseren Switch neu hochgefahren, Server und Rechner neu gestartet – irgendwann ist es wieder besser. Aber es kommt immer wieder zu Aussetzern Zwischenzeitlich verliert der Client auch Headset-Einstellungen, dann ist die Lautstärkeregelung ungünstig und muss neu justiert werden. Häufiger kommt es vor, dass Kollegen den ersten Anruf des Tages nicht entgegen nehmen können. Das fühlt sich dann so an, als müsse das Telefon sich erst mal „freiblasen“. Der Mobile Client arbeitet ebenfalls nicht stabil: Manchmal fordert er eine Neuanmeldung am Server, manchmal kann man gar nicht zugreifen, manchmal hakt die Verbindung. Was besonders nervt: Es sind kaum Muster erkennbar. Man kann sich schlicht nicht auf die Technik verlassen.

Fast 200 Jahre nach der Erfindung der Fernsprech-Geräte sind nicht nur die Telefone von unseren Tischen verschwunden. Auch die Sicherheit, jederzeit störungsfrei telefonieren zu können, ist weg. Schade.

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