Wir sind Journalisten. Und doch verstehen wir unseren Job nicht so eng, dass wir ausschließlich Artikel für klassische Medien schreiben. Journalismus ist für uns in erster Linie ein Handwerk, um komplexe und erklärungsbedürftige Dinge spannend und nachvollziehbar aufzubereiten. Das tun wir inzwischen auch für Corporate-Medien, in Studien oder Buchbeiträgen. Und manchmal liegt uns ein Thema so sehr am Herzen, dass wir es gleich selbst verlegen.
Diesmal in Form eines Diskussionspapiers, in dem wir uns gemeinsam mit dem Kölner Marketing-Experten Max Winterhoff Gedanken über die Frage gemacht haben, warum Mittelständler öffentlich so wenig davon erzählen, wie es bei ihnen im Alltag zugeht. Und welche Chancen die Unternehmer dadurch verpassen.
Der Mittelstand beschäftigt uns seit mehr als 15 Jahren. Das Unternehmermagazinimpulse war einer unserer ersten Kunden, heute arbeiten wir auch noch für viele andere Mittelstandsmagazine: Etwa das handwerk-magazin, Markt & Mittelstand, das Deutsche-Bank-Magazin „results“ oder „Fokus Mittelstand“ von der LBBW.
Inzwischen traue ich mir daher zu, von einer Ur-Erfahrung zu sprechen, um zu beschreiben, was man bei Mittelständlern immer wieder erlebt. Diese Ur-Erfahrung darf man sich etwa so vorstellen: Ich fahre in einem Ort wie Schwalbach, Ober-Perkenhausen oder Unter-Schlupfingen im Industriegebiet vor einer grauen Halle vor. Ein Mundart-sprechender, brummiger Pförtner setzt mich in einen Warteraum, der ans Einwohnermeldeamt erinnert: Linoleum, Plastikblumen, Glasvitrinen mit obskuren Urkunden und Werbe-Kulis. Ein Techniker in kurzarmigen Karo-Hemd und Sicherheitsschuhen kommt durch die Tür.
Und dann passiert es. Dieser Mann (es ist fast immer ein Mann!) erzählt mit einer solchen Liebe und Leidenschaft von seinem Job, berichtet begeistert von „Fehlertoleranzen“, „Entgratungen“ oder „physikalischen Grenzbereichen“, dass ich mich kurz bei der Überlegung ertappe, ob es nicht vielleicht spannender gewesen wäre, Ingenieur zu werden.
Diese Leute macht eindeutig glücklich, was sie tun – selbst wenn sie cool wirken möchten. Und das ist kein Wunder. Denn in den grauen Hallen, den spießigen Industriegebieten deutscher Provinz-Gemeinden, arbeiten Techniker an vorderster Front der nächsten industriellen Revolution. Oberbayern oder Schwaben sind sicher nicht das Silicon Valley, aber sie sind eben doch so etwas wie sein industrielles Äquivalent. Das unscheinbare Scharnier, die Folie, der Sensor: Die Dinge, die Menschen hier entwickeln und herstellen – sie sind mit hoher Wahrscheinlichkeit technisch Weltspitze.
Es gibt gleichwohl eine zweite Sache, die wir bei solchen Mittelständlern immer wieder sehen: Obwohl sie technisch so spannende Dinge tun, obwohl die Menschen, die hier arbeiten, einen ausgesprochen erfüllten Eindruck machen, obwohl schon Trainees und Lehrlinge gleich am großen Ganzen mitarbeiten, stellen die Unternehmen ihr Licht chronisch unter den Scheffel. Sie sind häufig Top-Arbeitgeber, deren Leute Jahre und Jahrzehnte bleiben. Bei denen die Wege zum Chef kurz sind, wo man hemdsärmelig Probleme löst. Aber sie reden nicht darüber. Im Gegenteil: Während Konzerne riesige Kampagnen fahren, in denen Kunden und Bewerbern eine schöne, bunte und wahnsinnig aufregende Corporate-Welt vorgegaukelt wird, gelten selbst die innovativsten Mittelständler oft als piefig und zweitklassig.
Das liegt nicht zuletzt an ihnen selbst. Sie könnten problemlos mit den Großen mithalten, würden sie sich nur öffnen und die guten Geschichten ihrer Projekte und Mitarbeiter selbstbewusst nach außen tragen. „Storytelling“ nennen das die Marketing-Leute. Und Storytelling gelingt am besten mit einem kritischen, objektiven Blick und klarer Sprache, dazu mit Argumenten und Belegen, nicht Behauptungen. Kurz: Storytelling ist Journalismus in eigener Sache.
Liebe Mittelständler, lasst Eure Leute sprechen! Lasst sie authentisch und unverfälscht erzählen, wie sie an Problemen tüfteln, Rückschläge überwinden und dann stolz miteinander auf Erfolge anstoßen. Ich bin sicher: Das wäre viel einfacher (und wahrscheinlich günstiger) als einer Werbeagentur eine Menge Geld für platte, produktlastige Werbetexte zu zahlen. Und es dürfte das Image bei Bewerbern und Kunden nachhaltig verbessern.